Weiterführende Informationen: Hat Achtsamkeit buddhistische Wurzeln?

Ja. Achtsamkeit ist ein zentrales Prinzip buddhistischer Übungspraxis. Dem us-amerikanischen Mediziner J. Kabat-Zinn gebührt ein großer Teil des Verdiensts, das Übungsprinzip Achtsamkeit befreit von philosophisch-religiösem Überbau in die Humanwissenschaft eingeführt zu haben. Auf der anderen Seite finden sich "achtsame Ansätze" auch in westlichen Philosophien und Traditionen. Ein Beispiel ist die Phänomenologie, wie sie z.B. von Husserl vertreten wird. Die Phänomenologie weißt bemerkenswerte Parallelen zur Achtsamkeit im Buddhismus auf: Das "vorurteilslose Nähern" an das Phänomen, Husserls Maxime "Zu den Dingen selbst!" oder die eidetische Reduktion auf das Wesentliche, die Essenz der Erscheinung, sind Charakteristiken, die sich auch im Buddhismus finden.

 

Abriss der Geschichte des Buddhismus

Der Buddhismus wurde begründet durch die historische Person mit dem Namen Siddharta und dem Familiennamen Gotama vor etwa 2.500 Jahren im heutigen Nordindien. Als Sohn eines feudalen Fürsten wuchs er im Luxus auf. Jedoch, so wird berichtet, machte die existenzielle Erfahrung von Krankheit, Altern, Tod und Leiden – und deren Unausweichlichkeit – solch starken Eindruck auf ihn, dass er sein Leben als Prinz im Alter von 29 Jahren aufgab und sich als spiritueller Sucher den damals in Indien bekannten meditativen Praktiken widmete. Diese konnten ihn aber nicht geben was er suchte, so dass er eine eigene Technik entwickelte, die er später „Dhamma“ (Lehre, Naturgesetz) nannte. Nach 6 Jahren heißt es, erlangte er die „vollkommene Erleuchtung“ und war fortan als Buddha bekannt. Die restlichen 45 Jahre seines Lebens widmete er anderen seine Lehre zu vermitteln (vgl. Chen, 1984).

 

Nach seinem Tod entwickelten sich mehrere Strebungen, von denen die zwei bekanntesten unter erstens „Hinayana“ („kleines Fahrzeug“) bzw. „Theravada“ („Lehre der Älteren“) und zweitens „Mahayana“ („großes Fahrzeug“) subsumiert werden. Erstere Richtung ist die orthodoxere, konservativere und breitete sich v.a. nach Sri Lanka, Thailand, Burma, Kambodia und Laos aus. Mahayana hingeben legt die ursprünglichen Pali-Schriften liberaler aus und bezieht noch eine Reihe Schriften in Sanskrit ein. Diese Richtung breitete sich nach China, Korea, Japan, Tibet, in die Mongolei, Nepal und Vietman aus. In Indien selber verlor der Buddhismus im Laufe weniger Jahrhunderte zunehmend an Bedeutung und ist heute dort nur eine Minderheiten-Religion.

 

Buddhismus als Psychotherapie denn als Religion?

Der historische Buddha wird als pragmatischer Lehrer dargestellt, dessen Ziel nicht im üblichen Sinne ein religöses, sondern ein weltlich-humanistisches war:

all [modern scholars] seem to agree that the main issue the Buddha dealt with was how to expurgate suffering and evil from our lives. (Cheng, 1984; S. 16).

Weiterhin steht er im Ruf, rein theoretische und metaphysische Diskussionen vermieden zu haben:

When asked whether the world is eternal or non-eternal, whether finite or infinite, whether the soul is identical with the body and whether the saint exists after death, he maintained silence [...] Many metaphysical questions were, according to the Buddha, inappropriate or even meaningless; they could not be answered by this or that, yes or no“(Cheng, 1984; S. 16).

 

Die Vier Edlen Wahrheiten

Seine Lehre ist mit den folgenden 4 Punkten zusammenfassbar: (1) Im Leben gibt es immer Misstände unter denen wir leiden. Weiter, dass (2) alles Leiden an Missständen eine Ursache hat; dass (3) diese und damit das resultierende Leiden behebbar ist, wenn man (4) den „rechten Weg“ geht (vgl. Dalai Lama, 1997). Dieser „rechte Weg“ besteht aus 3 aufeinander aufbauenenden Teilen: moralisches Leben, Konzentration bzw. Training des Geistes sowie Einsicht bzw. Wissen (vgl. Goenka, 1999).

 

Als proximale, also direkte Ursache von allem Leiden, proklamiert der Buddhismus die Unzufriedenheit mit allem was ist: „This is what in his first sermon the Buddha called 'tanha', literally 'thirst': the mental habit of insatiable longing for what is not, which implis an equal and irremidable dissatisfaction with what is“ (Hart, 1987; S. 38). Menschen reagieren auf unangenehme Erfahrungen mit Ablehnung (aversion) und auf angenehme Reize mit Verlangen (craving).

 

Beide Arten von Reaktionen (zusammen hier als attachment bezeichnet) führen aber zu Leiden: Gier, nach dem was nicht ist, oder was bald nicht mehr ist, führt zu Leid. Ablehnung von dem, was ist, führt zu Leid. Die distale Ursache von Leiden, also der Grund für Ablehnung und Verlangen ist fehlende Einsicht, fehlendes Wissen über die wahre Natur des eigenen und jeglichen Seins: Dass sich alles stets wandelt; dass attachment notwendig zu Leiden führt; und vor allem dass alles im Kern leer, essenzlos ist - auch das eigene Ich. Dieses Wissen muss geschult werden – in diesem Zusammenhang trägt die Achtsamkeit als vermittelndes Medium eine zentrale Bedeutung (vgl. Nyanaponika, 1980).

 

Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, den Buddhismus zumindest in dieser reinen Form eher als Psychotherapie denn als Religion zu betrachten.

 

 

Vertiefende Informationen zum Buddhismus

Einen Überblick über Theorie und Praxis des Buddhismus gibt Khantipalo (1989). Eine Einführung in den tibetischen Buddhismus findet sich bei Sogyal (2002); in den japanischen Zen-Buddhismus bei Kapleau (1994) oder Aitken (1997); in den burmesischen Buddhismus beim VRI (1998). Mehr philosophisch-theoretische Texte bieten Kalupahana (1987) oder Cheng (1984). Über die eher praktischen Aspekte von Achtsamkeit berichten Hanh (1997) und Gunaratana (1996). Van Quekelberghe (2005) integriert den Buddhismus in eine Systematik der Bewusstseinsforschung.

Neuerdings erwacht auch das Interesse der Physik an buddhistischer Kosmologie; einige Forscher sehen hier Parallelen zu neueren Forschungserkennntnissen (vgl. Capra, 1991; 1982).